Kürzlich gelesen: Israels Irrweg (2010)

Die Gedanken sind frei. Die Meinungsäußerung auch. Aber wenn man wagt, Israel zu kritisieren, wird die verbale Keule rausgeholt und drauflosgeprügelt. Da ist es sehr angenehm, wenn ein Autor besonnen die Argumente zusammenträgt. Dass dieser Autor selbst Jude ist, gibt dem Buch noch etwas mehr Gewicht.

Die Argumentationskette von Rolf Verleger ist eigentlich simpel. Er beginnt mit der Geschichte des Judentums, ihrer Vertreibung und dem jüdischen Grundsatz der Nächstenliebe. Dieses leitet sich aus der Anekdote ab, dass ein Rabbi die Thora so zusammenfasst: „Was dir verhasst ist, das tu auch anderen nicht an. Alles andere ist Erläuterung.“

Um die vorige Jahrhundertwende (also um 1900) gab es die Chance für ein jüdisches Land (was dann später Israel werden sollte). Der Wunsch nach einem eigenen jüdischen Land (oder einem jüdischen Staat) wird als Zionismus bezeichnet. Das Ausüben des jüdischen Glaubens als Judaismus oder Judentum. Beide Begriffe müssen sauber getrennt werden. Denn nicht jeder Jude ist Zionist, und nicht jeder Zionist ist Jude.

Die Vision eines jüdischen Landes schien um 1900 erfüllbar zu sein, aber viele Juden äußerten auch Vorsicht, von denen Verleger einige zitiert. Sie mahnten, dass die Juden friedlich dort hinziehen und leben sollten, sodass die dort wohnende Bevölkerung die Neuankömmlinge als Freunde und Bereicherung erlebt. So ist es dann bekanntermaßen nicht gekommen.

Das Vorgehen Israels, seine Provokationen, kriegerischen und feindseligen Handlungen sowie das Schweigen der westlichen Welt dazu sind die Hauptkritikpunkte von Rolf Verleger. Dabei will er weder als Antisemit (er ist bekennender Jude) noch als Antizionist verstanden werden. Er versteht sich als Freund Israels (ein Großteil seiner Familie lebt dort), der es für geboten und nötig hält, Kritik anzubringen, wo Kritik nötig ist – eben in Sorge um Israel, die dort lebenden Menschen und die Zukunft.

Besonders irritiert und ärgert ihn, dass Kritik an Israel stets mit Antizionismus und Antisemitismus gleichgesetzt werden, wobei er sehr überlegt diese drei Themenbereiche voneinander trennt. Besorgniserregend ist für ihn die Tendenz, dass zum jüdischen Selbstverständnis heute offenbar das bedingungslose Bekennen zu Israel und das Nicht-Kritisieren von dessen Tun gehört. Dagegen stellt er eine eigene Vision, wie Judentum heute gelebt und weitergetragen werden kann, ohne von der Existenz und Akzeptanz eines Landes abhängig zu sein.

Das Buch versammelt Essays und andere Schriften, die sich gegenseitig ergänzen. Dadurch entstehen aber auch inhaltliche Redundanzen. Eigentlich ist es bestürzend, dass ein solches Buch überhaupt notwendig ist. Die Fakten sind klar und unbestritten. Doch durch die Vermengung mehrerer Themenkreise (Religion, Vertreibung, Recht, Holocaust) enstand ein Sonderstatus, der Kritik an Israel nicht zuzulassen scheint und es dadurch auf seinem Irrweg bestärkt. Schon jetzt ist dort so viel Erde verbrannt, dass eine friedliche Lösung kaum möglich scheint. Dabei kann es nur Verlierer geben. Dramatischerweise verliert dabei nicht nur der Staat Israel, sondern letztlich auch die jüdische Religion und damit auch alle Juden.

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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