Vielfalt dank Defiziten

Ist mir gerade aufgefallen: Warum muss Samsung eigentlich so viele verschiedene Galaxy-Modelle entwickeln und anbieten? Die Antwort ist – für mich jedenfalls – offensichtlich: Jedes Gerät kann etwas, was die anderen nicht können. Es gleicht sozusagen ein Defizit der übrigen Modellpalette aus. Die Blabla-Marketing-Aussagen erschweren die Wahl zusätzlich.

Damit ist der potenzielle Käufer in einer misslichen Lage. Er oder sie muss sich für eines der vielen Modelle entscheiden. Er muss herausfinden, welches Defizit ein Produkt in der engeren Wahl aufweist, und für sich abwägen, ob dies einen für ihn relevanten Mangel darstellt. Aber egal welches Modell er kauft, er wird immer das falsche erwischen. Irgendwann setzt die Erkenntnis ein, dass er ein mögliches Problem oder ein mögliches Nicht-Vermögen des Geräts bei einem anderen Gerät nicht gehabt hätte.

Warum kann Samsung aber nicht ein Gerät entwickeln, das alle Möglichkeiten in sich vereinigt und keine Defizite aufweist? Sicherlich ist eine gewisse Ausdifferenzierung der Produktpalette durchaus sinnvoll, beispielsweise in kleine handliche Geräte, mittelgroße Smartphones und Tablets. Aber das tut Samsung nicht. Stattdessen findet man ein Dutzend Smartphones, deren Unterschiede selten offensichtlich sind.

Aktuelle Galaxy Smartphones von Samsung mit Android

Die Unterschiede bestehen im Preis und Pseudo-Claims wie „einfach. elegant. mehr als smart“, „The Next Generation“, „Bestens mit allen verbunden“ oder „Galaktisch universal“. Damit verbunden ist ein Unterschied in der Preisempfehlung von 400 Euro. Leere Worthülsen grenzen die Geräte nicht voneinander ab, denn „einfach, elegant, mehr als smart“ gilt zumindest theoretisch für jedes Gerät, „bestens mit allen verbunden“ und „galaktisch universal“ auch. Oder sind die anderen der gelisteten Modelle nicht „bestens mit allen verbunden“ oder „galaktisch universal“? Oder ist die Fähigkeit, mit „allen verbunden“ zu sein das Einzige, was das Smartphone überhaupt leisten kann?

Statt also dem Kunden in dieser Aufstellung eine Entscheidungshilfe zu geben, indem die Unterschiede in den Nutzungsmöglichkeiten aufgezählt werden, gibt es Blabla. Die meisten der Sprüche sind zwischen den Geräten austauschbar. Ich habe zwei Theorien, warum Samsung so etwas tut.

Vorstellbar ist, dass sie ein ganz brauchbares Gerät entwickeln, dann kommt durch einen Feature-Wunsch der Kunden, Technik-Redakteure oder eines Entwicklers die Idee für eine weitere Fähigkeit. Flugs wird ein weiteres Gerät entwickelt. Das wäre der Bottom-Top-Ansatz.

Es könnte aber auch sein, dass das Management beschlossen hat, dass für jede irgendwie vorstellbare Kundengruppe (ob nun Sinus-Milieu, Altersklasse, Interessengruppe oder Religionsanhänger) ein passendes Gerät angeboten werden muss. Daraufhin haben sich die Entwickler Mühe gegeben, möglichst verschiedene Geräte zu entwickeln. Das wäre der Top-Bottom-Ansatz.

Vielleicht ist es aber auch eine dritte Möglichkeit. Das Management hat irgendein tolles Feature bei irgendeinem Konkurrenz-Produkt entdeckt und beschlossen, dass auch Samsung solch ein Feature anbieten sollte. Das mündet dann in einem weiteren Produkt. Schließlich soll durch das neue Feature auch eine neue Kundengruppe angesprochen werden.

Ich fühle mich jedenfalls von dieser Auswahl überfordert. Denn ich möchte nicht zwölf (es sind auf den Folgeseiten bei Samsung weitere Modelle aufgeführt) Geräte miteinander vergleichen müssen. Denn die Erfahrung lehrt, dass nicht unbedingt von Gerät zu Gerät alles besser wird. Gefällt mir beispielsweise ein Modell gut, aber ich vermisse eine Funktion, und finde ich schließlich ein Gerät, das eben jene Funktion angeblich beherrscht, muss ich es daraufhin zusätzlich prüfen, ob auch meine anderen Ansprüche (die ich beim ersten Gerät bereits geprüft habe) von diesem Gerät ebenfalls erfüllt werden. Nur weil ein Gerät beispielsweise flüssiges Scrollen auf Internetseiten (ein für mich wichtiges Feature) anbietet, aber evtl. kein Bluetooth besitzt, kann ich nicht davon ausgehen, dass das Gerät mit dem Bluetooth auch flüssig auf Internetseiten scrollen kann. Ich muss bei jedem Gerät immer alles testen. Bis ich da endlich das gefunden habe, was ich wirklich als Begleiter für die nächsten Monate und Jahre haben und nutzen möchte, habe ich entnervt aufgegeben.

Andere sind da zielstrebiger, leidensfähiger und überhaupt viel aufgeschlossener als ich. Ich jedenfalls möchte aber nicht so lange die vielen Modelle miteinander vergleichen. Damit stellt sich im Umkehrschluss aber die Frage: Warum bietet Apple nur ein aktuelles iPhone-Modell an? Dass die Vormodelle zu günstigeren Preisen ebenfalls erhältlich sind, ist nett, aber reduziert in den meisten Fällen die Entscheidung auf Leistungsfähigkeit (Prozessorgeschwindigkeit) und Preis. Selbst wenn man die Vormodelle einbezieht, bleibt die Wahl zwischen drei Modellen, von denen aber jedes für ein Jahr jeweils das aktuelle und einzige Top-Modell war.

Wieso? Weil Apple ein Jahr lang an dem iPhone herumentwickelt, bis es keine Defizite mehr aufwies, die ein weiteres Modell als Ausgleich nötig machen würde. Das wäre die einfachste Erklärung, aber auch die plausibelste. Deshalb ist auch die Geheimhaltung so notwendig. Damit ein rundum gelungenes Gerät entsteht, dürfen keine Vorüberlegungen, Prototypen, Testgeräte außerhalb der Entwicklergruppe bekannt sein. Denn vieles, was sich theoretisch super anhört, kann sich in einem Praxistest als hanebüchener und unnützer Blödsinn herausstellen. Dagegen kann manche Kleinigkeit den Nutzwert in der Praxis deutlich erhöhen. Aber erst in einem finalen Produkt findet alles zusammen, und das Gesamtprodukt muss überzeugen, sonst geht es zurück ans Reißbrett.

Die breiteste Produktpalette pflegt Apple bei den iPods, doch durch die unterschiedliche Gerätegröße und Speicherkapazität ist eine klare und übersichtliche Produktstrategie trotz fünf verschiedenen Modellen erkennbar. Es fällt leicht, sich das iPod-Modell herauszusuchen, welches am besten zu den persönlichen Anforderungen passt.

Nur ein iPhone-Modell anzubieten, ist ein selbstbewusster und mutiger Schritt. Wenn das Modell nicht überzeugt, hat Apple für ein ganzes Jahr keinen Ersatz in petto, kann allenfalls eine laufende Entwicklung beschleunigen. Diese Fokussierung bringt also im Umkehrschluss die Verpflichtung, ein wirklich überzeugendes Gerät zu entwickeln. Wenn es nämlich nicht überzeugt, gibt es kein Ausweichmodell, und die Kunden kaufen bei einem Konkurrenzunternehmen.

Im nächsten Umkehrschluss ist Samsung da deutlich weniger selbstbewusst und von seinen Produkten überzeugt, da es immer mindestens ein Ausweichmodell gibt. Für einen Markenanbieter, als den Samsung sich ja positionieren möchte, ist das armselig. Denn es fehlt eine klare Markenaussage, die sich eben auch in der Produktpalette spiegeln muss. VW bietet ja auch kein eigenes Golf-Ausweichmodell an. Der Golf ist hinsichtlich seiner Größe, Ausstattung und seines Preises klar von den anderen VW-Modellen abgegrenzt. Durch Tochterfirmen (wie Seat oder Skoda) schafft sich VW Ausweichmodelle für den Golf, falls dessen Eigenschaften oder Preis einen Kunden nicht überzeugen und dieser ein vergleichbares, aber anderes Fahrzeug sucht. Diese Ausweichmodelle sind durch ihre eigene Automarke aber klar abgetrennt und schwächen damit nicht die Klarheit von VWs Fahrzeugpalette.

Allein durch den Namen „Samsung Galaxy“ wird für die verschiedenen Smartphone-Modelle aber die selbe Marke etabliert. Die Unterschiede in der Größe sind marginal, optisch sehen sie sich ähnlich, aber die Preise differieren zwischen 200 und über 600 Euro. Das ist keine klare Marke, das ist ein Wischiwaschi. Nur mit dem „Nexus“ wird eine klare Marke geschaffen, das in seiner Klarheit mit dem iPhone konkurrieren könnte. Kann es aber de facto dann doch nicht. Es gehört ebenfalls zur „Galaxy“-Familie und verwischiwascht die Marke zusätzlich durch ein Top-Gerät, das aber mit den anderen „Galaxy“-Top-Geräten um den Status des „nun wirklich besten Android-Smartphones“ konkurriert.

Wäre ich Markenmanager bei Samsung, würde ich eine radikale Verschlankung verordnen und die Palette auf drei Smartphone-Namensreihen mit maximal je drei Modellen reduzieren: Eine für Einsteiger, eine solide und überzeugende Mittelklasse und eine exklusive Top-Marke. Dabei müssen die Unterschiede zwischen den Namensreihen klar erkennbar sein und sich auch im Preis widerspiegeln. Und die jeweils drei Modelle müssten sich aus Nutzersicht durch eindeutige Aussagen voneinander abgrenzen. Zu jeder Namensreihe müsste ein klares Versprechen gehören, das die Geräte auch zuverlässig erfüllen.

Da Samsung selbst derzeit das „Samsung Galaxy S II“ als Hauptmodell inszeniert, stellt sich mir einfach die Frage: Wozu brauchen sie dann noch so viele alternative Modelle? Die Frage ist rhethorisch, denn wie oben gesagt, bin ich zu faul/bequem, um die Unterschiede herauszuarbeiten. Wozu all der Entwicklungs-, Herstellungs-, Wartungs- und Pflegeaufwand für so viele Modelle? Die Vergleichsfunktion auf der Samsung-Seite ist da auch nicht sonderlich erhellend, denn die Tauglichkeit für meine Alltagsnutzung oder Ansprüche lässt sich aus diesem ewiglangen Feature-Listen-Vergleich nicht wirklich erkennen.

Noch etwas fällt bei Samsungs Modellübersicht auf: Die gezeigte Bildschirmdarstellung verrät etwas über das Betriebssystem. Der hellblaue Display-Hintergrund verrät bei einigen Modellen, dass es sich um das Bada-System handelt, der Nexus-Bildschirm verrät Android 4, und der bräunliche Android Android 2.3 (als grobe Orientierung; stimmt nicht immer). Das genutzte System ist für das Nutzererlebnis allerdings nicht direkt kommuniziert, es steht irgendwo in den Technischen Daten.

Dass Samsung mit „bada“ ein eigenes Smartphone-System entwickelt, ist schon mal beachtlich. Aber warum nutzt es diese Tatsache nicht aus und erklärt, welche Vorteile dieses System bietet? Welche Zukunft hat Bada, wenn niemand es bewusst nutzt? Wieso kann man nicht beispielsweise ein „Galaxy S II“ wahlweise mit Bada oder Android bekommen? Dann könnten die Unterschiede, die Vor- und Nachteile klar benannt werden. Neben die Produktvielfalt in Hardware-Sicht gesellt sich also die Softwarevielfalt zwischen Android 2.3 und 4 sowie Bada. Das Bild wird immer unübersichtlicher, wenn man sich ernsthaft dafür interessiert, ein „Samsung Galaxy“-Smartphone zu kaufen.

So viel Unentschlossenheit, Unfokussiertheit, Unklarheit und Unübersichtlichkeit deuten auf ein recht schlichtes Geschäftsmodell hin: Wir probieren alles aus, und irgendwas davon wird schon klappen. Davon zeugen auch die neun (!) Werbeflächen beim Einstieg in den Smartphone-Bereich auf Samsungs Homepage. Es geht mir nicht darum, einen „ein Gerät für alle“-Ansatz zu etablieren, wie Apple es mit dem iPhone gelingt. Sondern mir geht es letztlich um ein ganz einfaches Element: die Kunden.

Ich – als potenzieller Kunde – erfahre nicht, welches Modell für mich geeignet ist. Ich muss es selbst herausfinden. Ich muss mich entscheiden, ob ich „anspruchsvolles Design“ für 349 Euro („Galaxy Ace“) oder die „next Generation“ für 649 Euro („Galaxy S II“) haben möchte. Ich bin überrascht, dass ich  für 649 Euro offenbar kein anspruchsvolles Design erhalte. Oder ist die Botschaft im Umkehrschluss, dass die einzige Existenzberechtigung des „Galaxy Ace“ sein Design ist, weil es sonst nix kann? Und was ist der Mehrwert für mich als Kunden bei „anspruchsvollem Design“? Design zum Selbstzweck ist aber Gewichse der Design-Abteilung und für mich als Kunde uninteressant.

Egal wie gut oder schlecht die Geräte nun tatsächlich sein mögen – das Marketing bzw. die Kundenkommunikation versagt. Gäbe es keine zusätzliche Werbung, die eben das „Galaxy S II“ gegenüber allen anderen Modellen bevorzugt, ich wüsste nicht, mit welchem Gerät ich meine Recherche und Abwägereise starten sollte. Und das „Galaxy S II“ verkauft sich offenbar recht gut. Es sei ihm gegönnt.

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

2 Kommentare

  1. Pingback: Von Bauern und Prinzen | zanjero.de

  2. Pingback: Apple-Samsung-Prozess: Du sollst nicht stehlen! | zanjero.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.