Apple ist stockkonservativ

Bei aller Innovationskraft ist Apple letztlich ein erstaunlich konservatives Unternehmen. Der Konservatismus verankert das Unternehmen im Jetzt, ermöglicht seine Erfolge, bildet aber auch seine Schattenseiten. Schauen wir uns die Befunde einmal an.

Die „Rettung“ des Buchs

Mit dem Internet ist ein neues Lernen möglich. Was tut Apple? Statt die perfekte Online-Lernplattform zu entwickeln, präsentiert Apple eine Initiative, das Buch zu retten. Die virtuellen Bücher gehorchen dem Eigentumsgedanken, einmal kaufen – immer besitzen. Sie basieren auf Seiten und Text, der mit Bildern angereichert wird. Die Integration von Multimedia und anderem Schnickschnack kaschiert letztlich nur, dass es sich um nichts anderes handelt als ein Buch in neuem Gewand.

Die Nutzer müssen sich dazu nicht auf einer Website anmelden oder dort einen Zugang abonnieren, sondern bleiben auf ihrem Gerät und kaufen bei Apple weitere Einzelprodukte (digitale Bücher). Bücher bzw. die Buchmetapher (seitenweises Präsentieren) folgen anderen Regeln und bieten andere Möglichkeiten als Internet-Inhalte. Die Hochkant-Version der virtuellen Bücher, die den Text ins Zentrum stellt, kann allenfalls als Zwitter aus Webansicht (allerdings längst nicht mit allen deren Möglichkeiten) und Buchtext gesehen werden.

Die Bewahrung des Schreibtischs

Mit dem Macintosh (und der Lisa zuvor) fokussierte Apple auf der sogenannten Schreibtischmetapher, die Objekte und Objektrelationen der realen Schreibtischwelt aufgriff und virtuell nachbildete. Beispiele sind die Ordner und der Papierkorb. In beide kann jeweils etwas hineingelegt werden, aber sie können nicht über etwas anderes drübergestülpt werden. Statt also etwas völlig Neues zu kreieren, wurde das Bestehende nur in das digitale Umfeld versetzt.

Koloniales Gebaren

Wie Telepolis darstellt, benimmt sich Apple wie ein Kolonialherr bei seinen Zulieferern und Herstellern in China. Dass das Zeitalter des Kolionalismus eigentlich vorüber ist, haben wir alle im Geschichtsunterricht gelernt. Umso auffälliger ist es, wenn ein Unternehmen, das für Innovation und Fortschritt steht, mit solchem Gebaren in Zusammenhang gebracht wird. Aus kapitalistischer Sicht zahlt es sich offenbar aus.

Dass sich das Unternehmen bis vor wenigen Monaten wie das „Königreich Steve“ gab, gehört ebenfalls zu den Anachronismen. Innerhalb des Königreichs funktioniert alles super und alles ist harmonisch. Doch von außen oder im Austausch mit Außen treten einige Probleme zutage. Dabei hat jedoch auch Apple aus der Geschichte gelernt und schottet sich nicht mehr gänzlich ab. Wenn es sich anbietet und es den eigenen Ansprüchen genügt, wird ein Esperanto mit der Außenwelt (= industrieweite Standards) genutzt (Beispiele: AAC-Codec für Musik, H.264-Codec für Filme, USB für externe Geräte). Wenn dieses den königlichen Erfordernissen nicht genügt, wird etwas eigenes erfunden. Aktuelles Beispiel: die mit iBooks Author erstellen Bücher, die auf einem veränderten epub-Standard basieren. Gelegentlich treibt das Apple-Königreich auch die Weiterentwicklung des Esperanto voran (Beispiel: HTML5 und CSS3).

»Designed by Apple«

Apple-Produkte gelten als beispielhafte Designstücke und setzen – wie im Fall des iPad, iPod, iPhone – den Standard, dem andere Hersteller nacheifern. Was das mit Konservatismus zu tun hat? Es gibt diese großartige Szene zu Beginn des Films „Jabberwocky“, der in einem fiktiven Mittelalter spielt. Ein Küfer (Fässerbauer) empfiehlt dem Fischhändler doch lieber Säcke zu nehmen statt wie gefordert, billige Fässer herzustellen, „die nur bis zum Markt halten“. Darin spiegelt sich die Handwerkerehre und das Traditionsbewusstsein wieder.

Den Handwerkerstolz auf geschaffene (und gelungene) Produkte meine ich, auch Apple zu Recht unterstellen zu können. Im Zeitalter des Kapitalismus geht es weniger um Stolz auf die eigenen Produkte als vielmehr darum, irgendwelche Produkte möglichst gewinnbringend abzusetzen. Insofern gehören das Zeitalter der Könige bzw. Kolonialherren und Apples Designansprüche zusammen und bedingen einander.

Bedienung ohne Bediengerät

Auch das iPhone ist nur in einer Hinsicht revolutionär (bzw. darin grenzte es sich deutlich erkennbar von allen anderen Geräten bei seinem Erscheinen ab): Es hat nur einen Knopf für die Bedienung. Die eigentliche Bedienung geht weit in das Vor-Computerzeitalter zurück. Einen Computer bedient man mit einem Zusatzgerät (Tastatur, Maus, Stift) und erhält die Ergebnisse auf einem anderen Zusatzgerät (Monitor, Drucker). Es ist also immer ein zweites Ding nötig, um das eigentliche Ding (Computer) zu nutzen; selbst wenn sie wie im Laptop zu einem Gerät verschmelzen, sind sie doch als Einzelkomponenten wahrnehmbar.

Erst im iPad, iPhone und iPod touch verschmelzen Eingabe (via Finger auf dem Bildschirm), Ausgabe (auf dem Bildschirm) und Computer (quasi unsichtbar hinter dem Bildschirm). Das Besondere ist: Niemand benötigt ein zweites Ding, um damit zu arbeiten. Selbst für Notizen waren sonst zwei Dinge nötig: Schreibgerät und Papier. Medienhistorisch gesehen geht Apple mit seinen iOS-Geräten also sogar noch in das Vor-Schrift-Zeitalter zurück. Strukturell ähnelt die Bedienung der Geräte einem alten Webstuhl, den man eben auch direkt bedient und dessen Ergebnisse man direkt wahrnimmt. Durch die Steuerungstechnik und die Computerisierung des 20. Jahrhunderts wurden die Maschine immer weiter von ihrer Bedienung entfernt – und Apple bringt sie wieder zusammen.

Deshalb fühlt sich die Texteingabe auf iOS auch immer ein wenig wie ein Fremdkörper an, denn das System ist darauf ausgelegt, dass der Nutzer mit seinem Finger Objekte direkt auf dem Bildschirm auswählt, bewegt oder in Interaktion bringt, oder das Gesamtgerät als Eingabe nutzt (z.B. bei Autorennen das iPad neigt, um nach links oder rechts zu fahren). Für das Schreiben oder Tippen benötigt es aber nun mal immer ein Zusatzding wie Federkiel, Stift oder Tastatur. Die auf dem Bildschirm eingeblendete Tastatur ist zwar bequem und praktisch, passt aber letztlich so gar nicht zur sonstigen Bedienung. Sie ist letztlich „nur“ eine Konzession an unsere Schriftkultur-Anforderungen.

Music reloaded etc.

Mit dem iPod und dem iTunes Music Store wurden keine neuen Möglichkeiten geschaffen. Der iPod löste das mobile Radio bzw. den Walkman ab und der iTunes Music Store den Plattenladen. Dabei blieben die alten Paradigmen („meine Musik gehört mir“, „Ich kaufe mir neue Musik“) bestehen. Wagt sich Apple auf tatsächlich neues Terrain mit seinem sozialen Musik-Netzwerk „Ping“, versagt es.

Das MacOS und das iOS (also die Betriebssysteme für Apples Computer und Mobilgeräte) basieren auf dem Next-System, das 1988 offiziell vorgestellt wurde. So alt und vielfältig ist kaum eine andere Betriebssystembasis. Okay, Alter bedeutet nicht gleich Konservatismus, aber Unix (als Philosophie) ist eine der ältesten Betriebssystemgrundlagen und bildet eben die Basis für Next und damit ebenso für iOS und MacOS.

Wenn letztlich Apple nichts anderes tut, als „alten Wein in neuen Schläuchen“ zu verkaufen, worin liegt dann das Geheimnis?

  • These 1: Es bedient den Konservatismus in allen von uns, indem die Produkte nicht „zu neu“ und nicht „zu anders“ sind.
  • These 2: Die Verpackung und das Marketing täuschen geschickt über die Unmodernheiten hinweg.
  • These 3: Es gibt dem Kunden das, was dieser möchte. So wie jeder will, dass ein Märchen gut endet.

Denn – ich betone es gern und oft – Apple ist nicht per Dekret oder durch Vertragsgängelungen zum Erfolg gelangt. Es ist ihm gelungen, Tausende und Millionen von Menschen zu überzeugen bzw. zum Kauf seiner Produkte zu verführen. Zur Verführung gehört neben dem sinnlichen Element (= Design) auch immer ein zu befriedigendes Bedürfnis und die freie Entscheidung des zu Verführenden – sich verführen zu lassen oder eben nicht.

Mit diesem romantischen Gleichnis (drei Wochen vor dem Valentinstag) zeigt sich an der Oberfläche erneut der erwähnte Konservatismus mit seinem Ideal der romantischen Liebe, aus der sich eine glückliche Beziehung entspinnt. Zu feierlichen Anlässen wie Weihnachten oder Geburtstagen überraschen die Partner einander, und es ist essenziell, dass diese Überraschung nicht vorher verraten wird (= die oft kritisierte Geheimniskrämerei von Apple). Dass bei nüchterner Betrachtung hinter der Oberfläche einige unschöne oder irritierende Dinge geschehen, gehört zu jeder Beziehung dazu, damit sie auf Dauer funktionieren kann. Denke ich mal.

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Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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