Guttenberg als Dieb – wer einmal lügt …

Was passiert, wenn jemand aus des Nachbarn Garten ein paar Erdbeeren klaut? Eigentlich nicht viel, das sollen die beiden Nachbarn unter sich ausmachen. Was passiert aber, wenn jemand aus vieler Nachbarn Gärten Erdbeeren, Äpfel, Birnen, Tomaten und Kartoffeln klaut? Das sieht schon nach Serientat und Absicht aus und ist doch sicherlich höher zu bewerten als ein gelegentlicher Einzelfall.

Bei geistigem Diebstahl besteht nun der Vorteil, dass dem Bestohlenen ja nichts fehlt, wenn ihm jemand etwas klaut. Anders als bei Erdbeeren behält der Bestohlene alles. Das einzige, was ihm geraubt wird, ist die Anerkennung für seine Leistung. Nehmen wir einmal an, dass die Beschuldigungen, Guttenberg habe in seiner Doktorarbeit Passagen aus Fremdtexten übernommen, ohne sie zu kennzeichnen, sich als wahr herausstellen. Was bedeutet das?

Wir sprechen hier nicht über Rechtstexte oder -Auslegungen oder -Urteile, denn die besitzen nach gerichtlicher Meinung nicht die nötige Schöpfungshöhe, um urheberrechtlich geschützt zu werden. Vielmehr geht es um journalistische und wissenschaftliche Beiträge, die von einer persönlichen Leistung geprägt sind. Die Verfasser haben ein nachvollziehbares Interesse daran, dass ihre Autorschaft gewürdigt wird. Dafür hat es sich etabliert, in wissenschaftlichen Arbeiten (wie einer Doktorarbeit) Zitate mit „Anführungszeichen“ oder Einrückungen zu kennzeichnen und in einer Fußnote die Quelle (Name des zititerten Autors und der Veröffentlichung) anzugeben. Jede nicht solcherart gekennzeichnete Passage ist vom Verfasser der Arbeit verfasst. Soweit die Theorie.

Wer es nicht weiß: Viele Doktorarbeiten benötigen drei und mehr Jahre, bis sie endlich abgegeben werden. Es ist also keine Kleinigkeit, eine Doktorarbeit zu verfassen – dagegen ist eine Magisterarbeit im Umfang von knapp 100 Seiten innerhalb eines halben Jahres geradezu eine Kleinigkeit. Wer eine solche Arbeit erstellt, hat sich also intensiv mit einem Thema und zahlreichen Positionen zu dem Thema beschäftigt. Auch die Prozederes und Anforderungen sind einer solchen Person gut vertraut, denn niemand investiert drei Jahre seines Lebens in eine Arbeit, um diese dann wegen formaler Fehler zurückzuerhalten. Allein von der Sache her kann Guttenberg sich also nicht mit Unwissenheit oder Pedanterie auf Kritikerseite herausreden.

In der Praxis bestehen gute Arbeiten zu 60 bis 80 Prozent aus Fremdwissen, natürlich nicht alle in Form von Zitaten, vieles sind durchaus eigene Texte, die fremdes Wissen nur zusammenfassen oder den aktuellen Stand des Diskurses unter Verweis auf die Diskursteilnehmer darstellen. „Wir stehen auf den Schultern von Riesen“, ist das Motto, also muss erst einmal klar gemacht werden, wie der Riese aussieht, wie seine Schultern aussehen, auf die wir dann unsere eigenen Beiträge stellen. Dazu gehört absolute Transparenz: Jeder Leser muss, wenn er oder sie es denn möchte, jedes Argument komplett nachvollziehen können. Also jede fremde Schlussfolgerung, jede fremde Argumentationskette, jede aufgeführte fremde Position selbst nachschlagen und beurteilen, ob der Verfasser der neuen Arbeit sie korrekt wiedergegeben oder interpretiert hat.

Verschweigt der Verfasser nun seine Quellen, dann macht er eine Kontrolle unmöglich und behindert damit die Wissenschaft. So ein Plagiat ist also dreierlei, jedenfalls wenn es entdeckt wird:

  • Beleg, dass der Verfasser nicht wissenschaftlich arbeiten kann oder will
  • Diebstahl bzw. Aneignung fremder Gedanken
  • Ausdruck der eigenen Ideenlosigkeit.

Ich habe während meines Studiums gelernt, dass es nicht immer darum geht, alles selber erfinden zu müssen. Bereits das Entdecken einer guten Erkenntnis in fremden Texten (v.a. das Erkennen, dass es eine gute Erkenntnis ist) ist eine wissenschaftlich relevante Leistung. Insofern ist es auch kein Makel, viele Zitate zu verwenden und Belege aufzuführen, sondern vielmehr ein Beleg für das eigene Forschen und die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen. Ein Makel ist es nur dann, wenn ein Verfasser aus seinen Quellen und Belegen keinen Erkenntnisgewinn oder neue Ideen entwickeln kann. Das kann ich nicht beurteilen, denn für Guttenbergs Doktorarbeit habe ich inhaltlich kein Interesse.

Aber wenn es bei einer Doktorarbeit ähnlich streng zugeht wie bei einer Magisterarbeit müsste er dieser eine Erklärung beigefügt haben, in der er versichert, dass der Text ausschließlich von ihm stammt und Zitate als solche gekennzeichnet sind. Ich weiß nicht, ob in seiner Erklärung die Formulierung „Ich erkläre an Eides Statt, dass“ enthalten war, oder ob er es einfach so erklärt hat. Hat er diese Erklärung tatsächlich unterschrieben, gibt es mehrere Schlussfolgerungen:

  • Dem Minister ist es egal, was er unterschreibt.
  • Der Minister hat bewusst eine Lüge unterschrieben.
  • Der Minister hat unbewusst eine Lüge unterschrieben – das würde entweder bedeuten, dass er einen Ghostwriter oder eine Ghostwriterin beschäftigte oder dass er sich der Verfehlung nicht bewusst war (was Rückschlüsse auf die ihm zuteil gewordene Bildung oder seinen Charakter zulässt).

K.T. Guttenberg (Foto: Wikipedia, Illustration: Markus Blatz, Montage: zanjero.de)

Im ersten Fall taugt er als Minister nichts, egal was er für eine gute Figur macht. Im dritten Fall taugt er als Minister nichts, denn weder das Einreichen von Fremdarbeiten als eigene noch eine mindere Bildung bzw. ein reduziertes Rechtsverständnis gelten meines Wissens als Qualifikationsmerkmale von Ministern. Im zweiten Fall taugt er als Minister erst recht nichts, denn einen Betrüger kann man nicht in einer verantwortlichen Position beschäftigen. Die Bild-„Zeitung“ behauptet zwar, dass ein Doktor-Titel nichts wert sei – aber der Herr Guttenberg hat ihn nun einmal. In einer sehr drastischen Analogie ist es nicht hinderlich, Kinder zu haben (ebensowenig wie einen Doktortitel). Hat man diese jedoch beispielsweise durch Kindesentführung „erworben“ oder vergeht sich an ihnen, dann – so die allgemeine Meinung – hat eine solche Person ihre Rechte auf Karriere oder verantwortungsvolle Ämter verwirkt.

Unser aller Verteidigungsminister behauptet, dass das Verschweigen der Quellen ein Versehen gewesen sei. Wie bei dem einmaligen Erdbeerdieb bin ich geneigt, das bei einem erhobenen Zeigefinger oder einem bösen Blick abzutun. Aber wer würde den mehrfachen Obst- und Gemüsedieb mit einer solch schlichten Verwarnung davonkommen lassen? Vorausgesetzt, die Vorwürfe sind tatsächlich in dem Umfang wahr, wie es behauptet wird (also mehr als fünf unmarkierte Textübernahmen von jeweils mehr als fünf Zeilen), dann sind sie deutlicher Beleg für die Ungeeignetheit als Minister (s.o.).

Ich weiß nicht, ob Guttenberg deshalb gleich zurücktreten muss. Aber jeder Angriff gegen ihn ist gerechtfertigt. Denn die Wissenschaft stellt mit ihrer ultimativen Transparenzforderung quasi die höchste Stufe der Demokratie dar. Und wer nicht einmal in der Lage ist, innerhalb der wissenschaftlichen Welt wahrheitsgemäß, ehrlich und transparent zu arbeiten, der belegt seine charakterliche Mindereignung für höhere Aufgaben. Eben genauso wie wir auch einem Physiknobelpreisträger das Buchen von Kinderprostituierten nicht durchgehen lassen – beide Bereiche (Ministeramt bzw. Physik-Forschung) haben zwar wenig mit dem anderen (Doktortitel bzw. Kinderprostitution) zu tun, bestätigen aber die menschliche, charakterliche Uneignung für verantwortungsvolle Aufgaben.

Oder um es noch drastischer zu formulieren: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ Guttenberg könnte jetzt zurücktreten und als Begründung anführen, dass er nie wieder in Ruhe Politik machen würde, weil ihm dieser Fehltritt ständig vorgehalten würde. Oder er bleibt im Amt und muss dann aushalten, dass ihm dieser Fehltritt ständig vorgehalten wird. Wie gesagt, es geht hier nicht um einen kleinen Erdbeerklau, sondern um Gemüsewilderei in vielen Gärten und die daraus ableitbare Schlussfolgerung auf charakterliche Defizite.

Nachtrag

Übrigens sollte Margot Käßmann den Europäischen Kulturpreis für Zivilcourage erhalten (sie weist ihn zurück), weil sie sich der Verantwortung nach ihrer Trunkenheitsfahrt stellte. Mit ihrer Handlung sei sie ein Vorbild für alle Personen in der Öffentlichkeit, urteilte das Preiskomitee. Die Lektion: Fehler sind erlaubt. Menschliche Größe und charakterliche Eignung beweist man darin, wie man damit umgeht. Guttenbergs Flucht nach Afghanistan und sein Nicht-Erscheinen auf einem eigentlich zugesagten Termin in Sachsen-Anhalt lassen genau die Souveränität und charakterliche Stärke vermissen, die ihm so oft nachgesagt wird.

Nachtrag 2 (1. März)

Nun ist Guttenberg also zurückgetreten. Mir fallen nur Gründe ein, warum das mehr als überfällig war. Nun brauche ich hier nicht alles zu wiederholen (denn es handelt sich ja nur um einen Blogeintrag und keine Doktorarbeit;-), daher hier die m.E. wichtigsten Argumente von anderen.

Zuvorderst Volker Pispers, der das Ganze so schön treffend und böse zusammenfasst, dass es eine Freude ist:

Telepolis: Die Kulturtechnik und das „Leistungsschutzrecht“

Telepolis: An Guttenbergs Vita ist kaum etwas echt

Telepolis: Kein Problem mit dem Copy-and-Paste-Minister Guttenberg?

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

2 Kommentare

  1. Eine Doktorarbeit muss einen erheblichen Eigenanteil beinhalten und einen neuen Beitrag zur Wissenschaft leisten. Da reicht es nicht nur Wissen zusammen zu fassen. Warum sind die übernommenen Texte nicht schon früher aufgefallen?

  2. Pingback: Texte schreiben mit LaTeX | zanjero.de

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