Kürzlich gelesen: Eine kurze Geschichte von fast allem (2003)

Ich tat mir die englische Fassung an. Wie bei „Land der Wunder“ gibt es einen starken ersten Teil, nach dem es bergab geht. Angewidert von den Schulbüchern, die ihre Wahrheiten ex kathedra verkündigen und Schüler damit eher abschrecken als interessieren, wollte Bill Bryson ein Kompendium zusammenstellen, das Lehre und Unterhaltung miteinander verbindet.

Das verkündet er jedenfalls in seinem Einleitungskapitel. Diesem folgen auch etwa ein Dutzend Kapitel, die ich persönlich für mustergültige Beispiele halte: knapp und dennoch anekdotisch, fokussiert und dennoch viele thematische Bögen umspannend, unterhaltsam und dennoch lehrreich.

Doch dann berichtet Bryson von seinem Ausflug in den Grand Canyon. Nachdem Einsteins Relativitätstheorie auf nur etwa drei Seiten abgehandelt wurde, erhalten nun Erdbeben und Vulkane jeweils ein komplett eigenes Kapitel. Aller Schwung ist verloren. Die Achterbahnfahrt durch Raum und Zeit unseres Universums und Planeten ist zu einem absurden Stillstand gekommen. Plötzlich liest man eher das Skript für eine unterhaltsame Unterrichtsstunde als tatsächlich eine kurze und fokussierte Präsentation des Wesentlichen. Nach diesen zwei Kapiteln wird es nur bedingt besser. Hätte Bryson die verbleibenden mehr als 50 Prozent des Textes auf hundert Seiten destilliert, wäre das Buch nicht nur dünner geworden, sondern auch lesbarer. Jedenfalls hätte er seinen Schreibstil der ersten Kapitel beibehalten können. Stattdessen schwadroniert er sich ausführlichst und detailverliebt durch die Menschheitsgeschichte. Es mag ja sein, dass all die Theorien und Entwicklungsstufen spannend sind (sind sie tatsächlich). Aber für eine kurze Übersicht über „fast alles“ hätte das Thema auf maximal zehn Seiten komprimiert werden müssen. Viele der ausführlichen Anekdoten wären in einem kurzen Absatz würdig genug präsentiert worden. Wenn ich mehr wissen will, gibt es Bücher zum Thema – was für jedes Thema in seinem Buch gilt.

Letztlich hat mich das Buch mit seiner Detailliertheit und seinem erhobenen Zeigefinger gegen Ende dann doch eher enttäuscht. Mit dem ersten Dutzend Kapiteln hat Bryson dagegen gezeigt, dass man nicht weitschweifig und ausführlich und detailversessen alles darstellen muss, sondern er hat kluge Akzente und Gewichtungen gesetzt. Vieles wird dabei nur angerissen oder nicht einmal erwähnt (Newton z.B. findet nur Erwähnung in Zusammenhang mit anderen Wissenschaftlern, nicht als eigenständiger Forscher und Entwickler). Das ist aber legitim und gehört zu einem solchen Unterfangen zwangsläufig dazu.

Insgesamt ist das Buch auf jeden Fall lesens- und empfehlenswert. Man sollte sich nur drauf einstellen, dass nach dem ersten Drittel (beginnend mit Vulkanen und Erdbeben) die Themen großzügiger auf die Seiten verteilt werden bzw. die Informationsdichte und das Aha-Stakkato einem eher betulichen „So ist das also“ weichen.

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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