Theater statt Journalismus

Anfang des Jahres erregte der Bericht von Mike Daisey über die Arbeitsbedingungen bei Apples chinesischem Zulieferer Foxconn große mediale Aufmerksamkeit. Offenbar sind einige Fakten doch nicht so fest, wie zunächst angenommen, und Daisey rudert in seinem Blog zurück: Übertragung: Mein Radiobeitrag ist ein theatrales Stück, das eine menschliche Verbindung zwischen unseren großartigen Geräten und den brutalen Umständen ihrer Entstehung herstellen soll. Er verwendet eine Kombination aus Fakten, Denkschrift und dramatischen Freiraum, um seine Geschichte zu erzählen.„My show [der Radiobeitrag] is a theatrical piece whose goal is to create a human connection between our gorgeous devices and the brutal circumstances from which they emerge. It uses a combination of fact, memoir, and dramatic license to tell its story […]“.

Auch die „New York Times“ hatte damals die Story aufgegriffen und nun nachträglich korrigiert. Weder „Spiegel online“ noch der „Heise Newsticker“ noch „MacTechNews“ noch „Focus“ haben diese Meldung bislang aufgenommen. Dafür werden lieber die Aktienwerte vermeldet. In Zeiten von Online- und Just-in-Time-Journalismus eigentlich ein Unding. Denn die Aktienwerte kann jeder Interessierte selbst problemlos abfragen. Es besteht keine journalistische Notwendigkeit, darüber auf allen Kanälen zu berichten. Doch es ist journalistische Aufgabe, die Menschen zu informieren: über fremde und eigene Leistungen und Fehler. Damit sich die Menschen ein „Bild von der Welt“ machen können (bzw. schlicht informiert und mündig entscheiden können). So bleiben die alten überzogenen Berichte weiter unrelativiert bestehen.

Sicher (1.), die Arbeitsbedingungen waren nicht die besten (und sind es immer noch nicht), aber m.E. macht es einen Unterschied, ob man jemanden des Mordes bezichtigt oder ob eine Unfallverletzung vorliegt.

Sicher (2.), Apple hat bereits genügend Publicity, gute wie schlechte. Da ist eine Relativierung nur weitere unbezahlte Werbung (zynische Sicht) – aber die journalistische Sorgfaltspflicht gebietet es, im Fall neuer Erkenntnisse alte Sachlagen zu revidieren. Das wäre wichtiger als dutzende iPad-3-Berichte, die so ziemlich jedes Medium en masse lieferte und sich damit selbst für die „Wir wollen doch keine Apple-Werbung machen“-Argumentation disqualifiziert.

Sicher (3.), kundige Apple-Interessierte finden die Meldungen auch selbst, aber eben vorwiegend im englisch-sprachigen Teil des Internets. Wenn sich deutsche Medien auf englische Informationen beziehen, und diese stellen sich später als falsch oder überzogen heraus, dann greift die Mittäter-Haftung. Man kann auch nicht ein tolles Rezept aus einem brasilianischen Kochbuch ins Deutsche übertragen und wenn sich später in Brasilien tödliche Nebenwirkungen eben jenes Rezepts herausstellen, „vergessen“, darüber zu informieren.

Der deutsche „Journalismus“ macht sich selbst immer entbehrlicher.

Der Chef von „This American Life“, der den Beitrag zuließ, gibt sich zerknirscht und geht in die notwendige Offensive: Übertragung: Ich und meine Mitarbeiter bei „This American Life“ sind unglücklich, dass wir etwas getan haben, das den Journalismus, den wir täglich auf dieser Radiostation betreiben, verletzt hat. Daher wollen wir vollständige Transparenz herstellen darüber, was schief ging und was unserer Einschätzung nach die Wahrheit ist.„I and my coworkers on This American Life are not happy to have done anything to hurt the reputation of the journalism that happens on this radio station every day. So we want to be completely transparent about what we got wrong, and what we now believe is the truth.“

Das letzte Mal, als ich in deutschen Medien was von „vollständiger Transparenz“ gehört / gelesen habe, war der Bundeswulff in die Pseudo-Offensive gegangen und hatte bereits am folgenden Tag die Transparenz-Ankündigung ganz anders gemeint. Vollständige Transparenz erschreckt uns ja alle und zwingt uns dazu, selbst zu denken und eine eigene Meinung entwickeln zu müssen. Furchtbar. Deshalb müssen auch immer noch zahlreiche Filme von uns ferngehalten werden, damit wir gar nicht erst Gefahr laufen, denken zu dürfen.

Jaja, das sind wieder wilde Gedankensprünge, aber irgendwie gehören für mich offizielle, halb-offizielle, selbstverordnete, marktbestimmte und wirtschaftliche Zensur zusammen – weil sie alle der „Wir sind/handeln transparent“-Behauptung widersprechen. Und alle Formen der Zensur sprechen den Menschen die Fähigkeit zur Mündigkeit ab. Genau deshalb ist Journalismus so wichtig. Jedenfalls solange es Journalismus ist/bleibt und nicht zum Theater verkommt. Ansonsten können wir uns auch in die seligstimmende Ära der gleichgeschalteten Medien der 1930er und 1940er begeben.

Achja, und was mich am deutschen Journalismus so aufregt, ist die Obrigkeitshörigkeit. Da „will“ die Bundesregierung 2014 (oder 2016 oder sonstwann) irgendwelche selbstgesetzten Budget- oder Schuldengrenzen einhalten. Toll. Will ich auch. Aber ich weiß: Prognosen sind NIEMALS Fakten. Niemals. Niemals. Niemals. Prognosen sind: Hoffnungen, Zahlenspiele, Erwartungen, Glücksspiel. Aber auf allen Kanälen wird dieser „Wille“ als Fakt verkauft. Als wäre es bereits erreicht. Das „will“ die Bundesregierung aber seit mindestens 20 Jahren erreichen: Immer in zwei, spätestens drei Jahren will sie keine Neuschulden mehr machen. Es gelingt ihr nicht. Und meine Prognose lautet: Es wird ihr auch in fünf Jahren noch nicht gelungen sein. Im Gegensatz zur Bundesprognose werde ich Recht behalten.

Solche „Die Bundesregierung will“-Meldungen sollten nicht im Nachrichtenblock, sondern in der Horoskop-Rubrik oder auf der Meinungsseite veröffentlicht werden. Es sei denn, ein Journalist rafft sich endlich mal auf und liefert die notwendigen Fakten, die es den Menschen ermöglichen, die Erreichbarkeit des Gewollten nachzuprüfen. Aber das kann kein Journalist, wenn er sich an Fakten halten möchte. Und das Publikum weiß das. Wir sind im Theater namens Journalismus gelandet, und keinem ist es aufgefallen.

Das wäre auch gar nicht so schlimm. Aber für Theater und Journalismus gelten nun mal unterschiedliche Regeln, Ansprüche und Erwartungen. „Hamlet“ wird niemand mit der Erwartung einer historischen Faktenberichterstattung anschauen, „Tagesschau“ oder „Spiegel online“ dagegen schon. Das Label oben drüber ist nicht nur eine Absichtserklärung, sondern prägt ganz wesentlich die Erwartung und Glaubwürdigkeit. Es präkonfiguriert unsere Wahrnehmung, beispielsweise ob wir „Titanic“ als „Action-Drama“, „Liebesfilm“ oder „Dokumentation“ interpretieren.

Dass die Bundesregierung lieber Theater spielt, ist ja auch ok. Es ist aber nicht akzeptabel, wenn Journalisten oder Menschen, die sich als solche ausgeben, die Inszenierung nicht durchschauen und das neueste Merkel-Stück als Fakt präsentieren. Oder noch direkter: Theater ist Unterhaltung mit Erziehungscharakter; Journalismus ist primär Information.

„Medienzirkus“, „Medientheater“ oder „Medienspektakel“ sind diffamierende Begriffe! Sie sollten nicht als Handlungsanweisung verstanden werden!VG Wort Zählpixel

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

5 Kommentare

  1. …Dann kommt noch der größte Nachteil bei Apple hinzu: kein Notbeook von denen hat rechts einen Zahlenblock.

    Da ich z. Bsp. viel mit Businessplänen zu tun habe ist Apple völlig uninteressant für mich und alle die im kaufmännischen Bericht arbeiten. Apple hat es bis heute nicht verstanden, diese Klientel zu bedienen.

  2. Ich wollte und will da nichts schönreden. Ich finde nur die mediale Bespiegelung des Themas nicht annähernd objektiv oder sachlich begründet.

    Achja, wie der Heise Newsticker mehrfach erwähnt, lassen auch andere große Unternehmen bei Foxconn fertigen – zu den selben Arbeitsbedingungen. Aber nur Apple schafft es in die Schlagzeilen. Früher hätte es einfach geheißen „Technikhersteller Foxconn“, heute heißt es „Apple-Zulieferer Foxconn“ … vielleicht liegt es einfach daran, dass Apple und seine Produkte so einfach sind, dass sie jeder versteht, deshalb hat auch jeder selbsternannte Redakteur natürlich seine Meinung dazu. Oder kann jemand so aus dem Effeff erklären, wie Microsoft sein Geld verdient, denn die Verkäufe machen nur einen geringen Teil des Umsatzes aus. Oder wie Google sein Geld verdient. Apple ist das einzige Hightech-Unternehmen, das mit dem Nutzer (=Kunden) eine direkte Kaufbeziehung eingeht. Die anderen haben immer noch irgendwelche Mittelsmänner dazwischen oder benötigen für die Nutzung des eigenen Produkts die Produkte von jemand anderem (so wie Dell hält Microsoft braucht), sind also nicht vollständig Herr über ihre eigenen Produkte.

    Aber das löst das Foxconn-Problem nicht, sondern ist allenfalls ein kleiner Ansatz für die kritisierte mediale Verzerrung unserer Realität durch „Journalisten“ und anderes Gevölk.

  3. Diese Klientel ist bei Windows gut aufgehoben; Buchhaltung ist eine Windows-Domäne :-) Ich kenne aber kein einziges Notebook, bei dem die Zehnertastatur gut ist. Die Tastatur ist durch den Zehnerblock nach links versetzt, und dadurch fühlt sich das Tippen auf solchen Geräten für mich immer falsch an. Die Hände können nicht zentral vor dem Bildschirm platziert werden, wo sie hinwollen und hingehören. Für meine Zahlenspiele hatte ich daher früher eine externe Zehnertastatur angeschlossen, das ging gut. Aber am effektivsten und für das möglichst ergonomische Schreiben geeignetste ist eine normale externe Tastatur, und da hat Apple verdammt gute im Angebot.

    Ein Gerät, das alle und jedes Bedürfnis decken kann, gibt es nicht. Da muss jeder für sich selbst herausfinden, wo die eigenen Prioritäten und Kompromisstoleranzen liegen. Mir persönlich genügt bereits die unkomplizierte und stressfreie Mac-Desktopumgebung, da nehme ich unterwegs die fehlende Zehnertastatur ohne Reue in Kauf. Denn die Alternative (ein Notebook mit Zehnerblock *klapper* und Windows) wäre die gefühlt größere Katastrophe und Unanehmlichkeit. Aber das sieht jeder so, wie es sich für ihn richtig anfühlt. Und ich brauche keine Welt, in der alle Apple-Laptops haben. Ich finde Vielfalt auf dem Makt sehr angenehm, denn ich gehe einfach davon aus, dass andere Menschen andere Bedürfnisse haben als ich. Sollen sie. Dürfen sie. Müssen sie. Denn die Alternative wäre, dass wir auch Uniformen und Staatsfrisuren für alle vorschreiben.

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