Holzauge sei wachsam vor den Kinderschützern

Da wird mal wieder die Sau „Kinderpornografie“ durchs mediale Dorf getrieben. Natürlich ist jede Art von Kinderpornografie schändlich und zu ahnden. Doch – noch – leben wir in einem Rechtsstaat. Nicht die Absicht ist strafbar, sondern die Tat. Ich bin nicht deshalb ein Verbrecher, weil ich über die fiktive Möglichkeit eines Terrorangriffs spreche, sondern erst dann, wenn ich durch Taten (!) erkennen lasse, dass von mir eine Gefahr ausgeht. Ebenso ist es bei Kinderpornografie. Nicht jeder Erwachsene, der einem Kind zulächelt, sich mit einem unterhält oder ein Foto von einem halbbekleideten an der Wand hängen hat, ist ein Pädophiler. Es benötigt tatsächliche Taten (!), um den Verdacht eines Verbrechens zu belegen.

Zum einen liegt Kinderpornografie immer im Auge des Betrachters. Manche Kinderfilme (wie Pippi Langstrumpf oder TKKG) mögen auf pädophil Veranlagte stimulierend wirken. Zum anderen bestehen bereits jetzt zahlreiche gesetzliche Möglichkeiten, um schändliches Tun zu bestrafen. Echte Lücken bestehen de facto nicht. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Die größte Gefahr geht auch nicht „vom bösen Onkel im Internetchat“ aus, sondern von Bekannten oder Verwandten der Familie (laut Statistik etwa 90 Prozent der Fälle).

Kinder müssen geschützt werden. Natürlich. Jeder, der das leugnet, ist ein Schuft. Aber, und diese Frage muss erlaubt sein, ist jede theoretische Schutzmöglichkeit auch tatsächlich nötig? Schränken nicht manche Schutzmöglichkeiten langfristig unsere freiheitliche Grundordnung ein?

In dem medialen Hype, der ja nur das Beste für unsere Kinder will (oder das jedenfalls behauptet) drängt sich mir folgende Gedankenkette auf (wie sie auch Telepolis formuliert):

  1. Zum Schutz der Kinder werden zahlreiche Schranken errichtet, sogar eine Zensurinstanz geschaffen. (wer wäre schon dagegen, schließlich geht es ja um Kinder)
  2. Bestehen die Schranken und die Zensureinrichtungen, können diese doch auch zum Schutz anderer Rechtsgüter genutzt werden. (behauptete Urheberrechtsverletzungen, diese sind ja immerhin fast genauso schlimm, oder kritische Meinungen)
  3. Doch, wie jeder weiß, sind die Schranken und Zensurinstanzen im Internet ja leicht zu umgehen. Stärkere Schranken müssen her!

Ade Freiheit.

Es wäre jetzt vielleicht ungerecht, alle Kinderschützer in diesen Topf zu werfen, der letztlich nur eine Hightech-Version von „1984“ darstellt. Aber auch die hehrsten Ziele rechtfertigen keine Eingriffe in Grundrechte.

Wo blieben da die Unterschiede zu Diktaturen? Auch diese rechtfertigen zahlreiche Grundrecht-Beschränkungen mit hehren Zielen. Ich dachte immer, wir wären besser als die. Und ich dachte, eine Demokratie kann auch unbequeme Meinungen und Situationen aushalten. Ich war bislang der Meinung, dass nur ein unparteiischer Richter befugt ist, eine Person tatsächlich schuldig zu sprechen. Und dass vorurteilsfrei gilt: Im Zweifel für den Angeklagten. Heute muss ich mich rechtfertigen, weil ich gegen jede Zensurambition bin, die unter dem Vorwand der Verhinderung von Kinderpornografie in die Debatte geworfen wird.

Dabei sind die Befürworter solcher Zensurambitionen noch nicht einmal in der Lage, sauber zu argumentieren und nachvollziehbare Fakten (!) zu präsentieren. Das ist das Erbärmlichste an der gesamten Diskussion: Es werden nur aufgrund von Gefühlen den Menschen Grundrechte genommen, weitere (überflüssige) Gesetze erlassen, Menschen gegängelt und die misstrauensvolle Atmosphäre in der Gesellschaft weiter gefördert.

Angesichts solcher Ergebnisse muss man ja fast stolz auf die Kinderschützer sein, viele andere Initiativen verlaufen völlig ergebnislos [blanker Zynismus].

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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