Die Macht der Plattform

Wie beim Thema AppStore dargestellt, ist die verwendete Software zwar wichtig, aber für den Erfolg entscheidend ist das Schaffen einer Plattform. Als eine der populärsten Plattformen haben sich das Internet und der iTunes-Store erwiesen. Von diesen hat der AppStore gelernt.

Als Tim Berners-Lee das Internet „erfand“, verband er zahlreiche verschiedene Technologien, Ideen, Software-Bestandteile und fügte sie zu etwas Neuem. Diese verkürzte Darstellung soll seine Leistung nicht schmälern, ganz im Gegenteil. Erst durch das Funktionieren aller Komponenten und deren Zusammenspiel konnte das Internet binnen zwei Jahrzehnten die globale Kommunikation, Wirtschaft, Gesellschaft so umkrempeln, wie wir es erlebt haben.

  • Auf einem Computer (Webserver) liegen Dateien (z.B. HTML, JPG) bereit, die für andere abrufbar sind. Was so trivial klingt, ist nichts anderes als ein Fileserver, der bestimmte Regeln einhält, nach denen er seine Daten freigibt (zumeist nur lesbar, nicht von Fremden änderbar; Ordnerstruktur; Dateinamenkonventionen). Der Webserver kann die Daten ggf. auch dynamisch generieren (beispielsweise als Content Management System oder als Webstore wie Amazon oder als Webmailer).
  • Auf einem Computer (Client) befindet sich ein Programm (Browser), das die Daten auf dem Server abrufen und darstellen kann. Für die Basis-Dateien (HTML) gelten feste Konventionen, sodass jeder Browser die Dateien auf die gleiche Weise darstellt.
  • Es benötigt eine Sprache, mittels derer Client und Webserver miteinander kommunizieren, um den Datenabruf abzuwickeln. Das verwendete Hypertext Protokoll setzt auf dem etablierten und standardisierten TCP/IP auf.
  • Es benötigt eine Infrastruktur, um die Computer (Clients und Server) miteinander zu verbinden. Anfangs geschah das über Ethernet bei kurzen Distanzen und über die Telefonleitung bei langen, heute bestehen zahlreiche weitere Möglichkeiten (DSL, W-Lan, UMTS, etc.).
Das „Internet“ entsteht durch die Zusammenarbeit der Plattform-Komponenten.

Das „Internet“ entsteht durch die Zusammenarbeit.

Durch das Zusammenspiel aller drei Bereiche entsteht erst das „Internet“. In jedem Bereich gibt es Software- und Hardware-Anforderungen, wobei so viele wie möglich neutral gehalten sind. So kann auch jeder Client zu einem Webserver werden, indem er eine passende Software installiert/konfiguriert, nur um eine vernünftige Anbindung an das Netzwerk muss man sich noch kümmern. Da ein Webserver außer den standardisierten HTML- und CSS-Dateien auch jede andere bereitstellen kann, haben sich zahlreiche weitere Standards entwickelt, wie .doc als Quasi-Standard für Textdokumente, MP3 für Audiodateien und PDF für druckfertige Dokumente. Auch Flash ist, da es nicht wie PDF als Standard veröffentlicht wurde, höchstens ein Quasi-Standard, der jedoch Adobe gehört. Solche zusätzlichen Dateien benötigen Plugins, um innerhalb des Browsers dargestellt zu werden (wie Flash, Multimedia oder PDF), während andere Dateien (wie .doc) meist heruntergeladen und mit einem lokalen Programm außerhalb des Browsers bearbeitet werden.

Der Reiz des Internet liegt darin, dass es von der konkreten Hardware (Computer und dessen Ausstattung, Netzwerkanschluss und dessen Leistung) unabhängig war und ist. Ebenso war und ist es von keiner bestimmten Software (Betriebssystem, konkreter Browser) abhängig, sondern benötigt einfach irgendeinen Computer, der irgendwie mit dem „Internet“ verbunden ist und auf dem irgendein Browser läuft. Diese drei „irgends“ erklären den Erfolg des Internet. Denn jeder kann nach seinen Möglichkeiten daran teilhaben, ob nur passiv lesend, aktiv gestaltend oder partizipierend beispielsweise in Online-Foren. Der Erfolg entstand eben nicht durch irgendeine einzelne Komponente, sondern ist das Ergebnis des effektiven Zusammenspiels aller drei. Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile (Stichwort Emergenz).

iTunes und iPod

Eine strukturell ähnliche Plattform gelang Apple mit dem iTunes-Store. Aufsetzend auf dem Internet bietet Apple einen virtuellen Laden für Musik und Filme an.

  • Der iTunes-Store basiert auf Webtechnologien und bietet standard-konforme Dateien an (MP3, AAC).
  • Das Programm iTunes läuft auf einer möglichst breiten Palette von Computern (Windows XP, Vista, Sieben, Mac OS X) und deckt somit weit mehr als 90 Prozent der potenziellen Nutzer ab. Wie ein Browser ist es kostenlos, um die Hemmschwelle zur Nutzung zu senken.
  • Jeder iPod (und inzwischen iPad, iPhone) kann mit jedem iTunes-fähigen Computer verbunden werden (über die Standard-Schnittstelle USB; vor Store-Zeiten war es der effektivere Firewire-Anschluss), um erworbene Medien (und andere von iTunes verwaltete Medien) auf diesen zu übertragen.
  • iTunes ist die lokale Schnittstelle zwischen mobilem Gerät und entferntem Store. Darüber hinaus funktioniert es auch als Medienverwaltungs- und -abspielprogramm. Für mobile Geräte mit eigenem Internetzugang (iPhone, iPad, iPod touch) gibt es mobile Versionen, um direkt auf den Store zuzugreifen.
Jede Komponente wäre allein funktionstüchtig, der Mehrwert entsteht durch die integrierte Zusammenarbeit in einer Plattform.

Jede Komponente wäre allein funktionstüchtig, der Mehrwert entsteht durch die integrierte Zusammenarbeit.

Der iPod (stellvertretend für alle iOS-Geräte) benötigt kein iTunes, um zu funktionieren, theoretisch könnte er mit jedem anderen Programm befüllt werden (kurz: iTunes sorgt als Computerprogramm dafür, dass nur Dateien auf dem iPod landen, die dieser abspielen kann; ist eine Datei nicht abspielbar, weist iTunes darauf hin, und man hat die Chance, etwas zu tun, schließlich sitzt man ja an einem Computer; es gibt keinen Frust unterwegs, weil eine Datei wegen falscher Bitrate o.ä. Problemen nicht abgespielt werden kann). iTunes benötigt weder iPod noch Store, um zu funktionieren, es könnte sich auch mit seinen Medienverwaltungs- und -abspielfunktionen begnügen. Der iTunes-Store benötigt keine iPods, um zu funktioneren, iTunes benötigt er lediglich als Zugriffsschnittstelle; da der Store mit Webtechnologien arbeitet, könnte er theoretisch auch im Webbrowser aufgerufen werden, aber dann würden gekaufte Dateien irgendwo landen. Erst durch das Zusammenspiel aller drei Komponenten ergibt sich für jede ein Mehrwert. Dieser Mehrwert ist in Apples Augen so groß, dass die drei Komponenten fest miteinander verbunden wurden. Oder andersherum formuliert: Die Nachteile, wenn die Komponenten nicht miteinander genutzt werden, können so unangenehm sein bzw. als störend empfunden werden, dass Nutzer auf andere Lösungen ausweichen. Mögliche Nachteile, wenn iPod, iTunes und Store nicht miteinander verbunden wären:

  • Zeigt der Browser den Store so an, wie er aussehen soll?
  • Ist die Verbindung sicher?
  • Was passiert mit gekauften Dateien? Verwaltet der Nutzer sie sinnvoll (in seinem Sinn)?
  • Besitzt der Nutzer ein Programm, um Musikdateien auf CD zu brennen?
  • Kann er es benutzen?
  • Sind die Kennungen in den Musikdateien (ID-Tags) korrekt? Kann sich der iPod also darauf verlassen oder muss er Dateinamen auswerten?
  • Liegen die Musikdateien im richtigen Format vor, um auf einem iPod abgespielt zu werden? Wäre der Nutzer in der Lage, die Datei in ein korrektes Format umzuwandeln?
  • Findet der Nutzer auch immer die Dateien in seiner Datensammlung, die er auf einen iPod kopieren möchte?

Solche Fragen/Probleme stellen sich nicht, wenn die Komponenten zu einer Plattform verbunden werden. Wieder ist das Ganze mehr wert als die Summe seiner Teile.

Der AppStore für iOS-Geräte funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie der iTunes-Store. Allerdings sind die gekauften Apps auf dem Computer nicht nutzbar, sondern nur auf iOS-Geräten.

Der AppStore für iOS-Geräte funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie der iTunes-Store. Allerdings sind die gekauften Apps auf dem Computer nicht nutzbar, sondern nur auf iOS-Geräten.

Der AppStore

Mit dem AppStore will Apple seine Computerplattform Macintosh stärken. Wieder wird eine Plattform (ein neues Ganzes aus mehreren Teilen) geschaffen:

  • Ein AppStore, der auf Webtechnologien basiert.
  • Das Internet ist das Übertragungsmedium.
  • Jeder Programmierer kann seine Apps im Store anbieten und zahlt Apple eine Umsatzbeteiligung (zwischen 30 und 40 Prozent).
  • Jeder Mac-Computer, auf dem das AppStore-Programm läuft, kann Programme aus dem AppStore kaufen und nutzen.
Der MacApp-Store bietet eine zentrale Instanz zwischen Nutzer und Entwickler.

Der MacApp-Store bietet eine zentrale Instanz zwischen Nutzer und Entwickler.

Auch hier wird durch das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten ein Mehrwert für jede einzelne geschaffen:

  • Mac-Nutzer erhalten unkompliziert Zugriff auf zahlreiche Programme (Stichworte: Übersichtlichkeit, kein langes Herumsuchen, Bewertungsfeedback), die sie unkompliziert kaufen und installieren können.
  • Keine manuelle Installation nötig, kein Archiv für Seriennummern nötig. Updates werden über den AppStore abgewickelt, sodass stets die aktuellste Version im Einsatz ist.
  • Ein im AppStore gekauftes Programm funktioniert auch auf dem Rechner, das ist bei im Laden gekauften Programmen nicht immer gegeben (das Kleingedruckte lesen).
  • Programmierer müssen sich nicht um Vertrieb und Handelsmargen kümmern. Updates werden über den AppStore abgewickelt, sodass nicht jedes Programm einen eigenen Update-Mechanismus mitbringen und/oder Kunden informieren muss.

Allerdings erschöpft sich bislang der Vorteil vorwiegend darin, dass es für die Nutzer eine zentrale Anlaufstelle gibt, was den Zugriff auf Apps (Programme) erleichtert. Die Verbindung zwischen Entwicklern und Nutzern (wie sie bislang durch den eigenen Vertrieb oft gegeben war), ist dabei ersatzlos weggefallen. Bei Mediendateien war diese Verbindung irrelevant, da die Nutzer an Musiktiteln oder Filmen interessiert sind und nicht an deren Anbietern (Musiklabel oder Filmstudio), es gab also keine Notwendigkeit diese nicht bestehende Kommunikationsmöglichkeit in die Store-Plattform zu integrieren. Jedoch besteht gerade bei kleinen Anbietern von Software oft eine direkte Bindung zu den Nutzern, der über Newsletter, Wishlists und andere Kanäle die Weiterentwicklung beflügelt. Dieser wurde nun gekappt und auf die Kommentare und Bewertungen innerhalb des Stores reduziert. Entwickler müssten also diese Kommunikation mit eigenen Mitteln ermöglichen.

Natürlich kann der Computer auch ohne AppStore genutzt werden, doch durch die Einbindung in die AppStore-Plattform erhält er einen Mehrwert (bzw. einen reduzierten Frustpegel für die gleichen Aufgaben außerhalb des Stores). Wie die Erfahrungen mit Internet und iTunes-Store gezeigt haben, stellt eine Plattform einen sich selbst verstärkenden Kreislauf dar. Wenn die Plattform gut ausbalanciert ist, profitieren alle Beteiligten davon: Apple als Store-Betreiber und Anbieter von Macintosh-Computern, die Entwickler von mehr Nutzern und geringeren Vertriebs- und Marketingkosten, die Nutzer von mehr Übersicht und vereinfachter Softwarebeschaffung. Noch ist es zu früh, eine Tendenz oder Entwicklung ohne Kaffeesatz oder Tarotkarten vorherzusagen, aber die bisherigen Zeichen stehen nicht schlecht, dass der AppStore eine sinnvolle Ergänzung der Mac-Plattform darstellt und sich als Erfolg herausstellt. Dabei ist nicht zu vergessen, dass Erfolg relativ ist, die meisten Menschen kaufen mehr Musik als Computerprogramme, und der iTunes-Store ist auch von Windows-Computern und iOS-Geräten aus zu erreichen, was die Nutzerschar deutlich erhöht und damit jeden Zahlenvergleich irrelevant werden lässt. So wie der iTunes-Store die iPods stärkte (und die iPods den iTunes-Store), so wie der AppStore die iOS-Plattform stärkte und zum Erfolg führte, so kann auch jetzt der Mac-AppStore die Mac-Plattform stärken. Oder anders formuliert: Die Mac-Plattform (Computer) wird mit einer neuen zweiten Plattform (für Softwarevertrieb) kombiniert – das kann doch weder ein Fehler sein, noch sich nachteilig auf eine der beiden auswirken!

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

2 Kommentare

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