Warum ich über Steve Jobs’ Tod trauere

Der Apple-Mitgründer und langjährige Firmenchef Steve Jobs ist vergangene Nacht verstorben. Das Internet ist voll von Erinnerungen und Analysen und biografischen Notizen und Nachrufen. Auch ich musste meine Gedanken erst einmal sammeln.

Die Meldung, dass Steve Jobs gestorben ist, traf mich überraschend, aber nicht völlig unvorbereitet. Dass Jobs in der ersten Jahreshälfte die Unternehmensgeschicke bereits testweise in Tim Cooks Hände gelegt hatte, war ein schlechtes Omen – oder gute Planung, je nach Perspektive. Dass er Ende August dann die Geschäfte komplett an Cook übergab, war ein schlechtes Zeichen. Tim Cook ist sicher ein guter und fähiger Manager, aber er ist nun mal nicht Steve Jobs.

Eine Keynote von Steve Jobs war immer ein quasireligiöses Ereignis, auf das sich die Jünger lange freuten. Jetzt steht dort nur Tim Cook, und es wird klar, dass dort immer nur ein Mann stand. Kein Messias, kein Prophet, kein Rockstar, kein Papstersatz.

Steve Jobs war nur ein Mensch. Ein Mensch, den ich nie kennengelernt habe – wie viele, die um ihn trauern. Ein Mensch, von dessen Privatleben ich nicht viel weiß (abgesehen von der Biografie). Ein Mensch, dessen Produkte ich gern benutze. Steve Jobs wird vor allem wegen seiner Erfolge in Erinnerung bleiben:

  • die grafische Bedienung eines Computers in Serienreife – trotz geringer Marktanteile trieb der Mac alle anderen vor sich her und setzte oftmals den Standard in Benutzerfreundlichkeit, Komfort und Ästhetik
  • die Demokratisierung von Musik – jeder kann Musik machen (GarageBand liegt jedem neuen Mac kostenlos bei), vertreiben oder weltweit im Musik Store anbieten; iTunes stellt kostenlos den MP3-Codec für alle zur Verfügung (der eigentlich Geld kostet), verwaltet große Musiksammlungen; mit iPod und den anderen i-Geräte ist Musik überall verfügbar
  • klares, schlichtes, elegantes Produktdesign – alle Apple-Geräte sind auf das funktional Nötigste reduziert; oft gelten sie als prototypische Vertreter einer Gattung.
  • in mehr als 300 Patenten wird Jobs namentlich als Miterfinder genannt – für einen Unternehmenschef ist das beachtlich
  • iPhone und iPad machten das Internet mobil und alltagstauglich

Solche Erfolge waren nur möglich, weil Jobs so war, wie er war: ein Tyrann, ein Genie, ein Misanthrop, ein Blender, ein Charismatiker, ein Wirklichkeitsfeldverbieger, ein Visionär, ein Perfektionist, ein Hippie, ein Rockstar der EDV-Welt. Und oftmals ein Arschloch, wie der Film „Pirates of Silicon Valley“ genüsslich vorführt. Vor allem seine Kompromisslosigkeit ist legendär. Er trieb seine Mitarbeiter – nicht immer mit feinen und nachahmenswerten Methoden – zu Höchstleistungen. Er lehnte halbgare Lösungen ab. Jedes Produkt muss ihn in seiner Gesamtheit und allen Details überzeugen. Denn:

  • Was nützt der tollste Musik-Store, wenn die Musikauswahl willkürlich beschränkt ist und zu teuer?
  • Was nützt das tollste Tablet, wenn der Akku nur zwei Stunden durchhält?
  • Was nützt der großartigste Computer, wenn er ständig mit sich selbst beschäftigt ist?
  • Was nützt eine grafische Benutzeroberfläche, wenn deren Bedienung so komplex ist, dass sie wieder eine dicke Anleitung benötigt?
  • Was nützt ein Laptop mit Dutzenden Anschlüssen, der aber kein gutes Bildsignal an einen externen Monitor ausgibt?
  • Was nützt ein internet-fähiger Rechner, wenn das Einrichten des Internets extra Programme benötigt?
  • Was nützt irgendein Gerät, das theoretisch alles kann, aber für seinen Hauptzweck nicht praktisch und in jeder Hinsicht geeignet ist?
  • usw. usf.

Der Aktienkurs war scheinbar nebensächlich, auch wenn er Jobs seine Kompromisslosigkeit überhaupt erst ermöglichte. Apple agierte nicht (oder sehr selten) wie ein börsennotiertes Unternehmen, sondern wie ein Königreich.

Dafür bekam King Steve 1 Dollar Jahresgehalt. Das sagt viel über seine Motivation aus, über das, was ihn antrieb. „Es ist keine Kunst, viel Geld zu verdienen, wenn man nichts anderes will als viel Geld zu verdienen“, erklärt Bernstein in „Citizen Kane“ (1941). Jobs Interesse galt offenbar nicht seinem Wohlstand. Mit Apples Einflüssen auf die Entwicklung der Alltagstechnik hat er die Welt stärker verändert als andere Unternehmen mit sozialen Ambitionen oder Wohltätigkeiten.

Apple und Steve Jobs wurden und werden wohl noch eine Zeitlang als Einheit gesehen. Das ist auch in vielerlei Hinsicht korrekt, denn Jobs hat die Firmenkultur und den Geist des Unternehmens maßgeblich geprägt. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass Jobs ohne seine fähigen Mitarbeiter zu keinem seiner Erfolge fähig gewesen wäre.

Die Welt hat einen ihrer wichtigsten Visionäre verloren. Visionär deshalb, weil Steve Jobs kompromisslos das vorantrieb, was er für richtig hielt. Der wirtschaftliche Erfolg gab ihm oft Recht. Wichtig deshalb, weil Jobs mit Apples Marktmacht in der Lage war (und Apple es noch immer ist), seine Visionen tatsächlich umzusetzen – oft gegen Widerstand, Unverständnis oder Häme von außen.

Wenn ich meinen Computer starte, nehme ich es als selbstverständlich:

  • schickes Design des Gerätes
  • überzeugende Ästhetik auf dem Bildschirm (von der Typografie über die Icons bis hin zu Details wie semitransparenten Menüs)
  • Stereo-Sound in überzeugender Qualität
  • stabile und solide Netzwerk- und Internetverbindung
  • großes Touchpad mit effektiven Gesten zur Bedienung
  • usw. usf.

All das verdanke ich direkt und indirekt Steve Jobs. All das wäre sicherlich auch ohne Steve Jobs irgendwann über uns gekommen … aber welcher Computerhersteller hätte im Kommandozeilenzeitalter dafür gekämpft, dass der neue Computer grafisch bedienbar ist (mittels einer „Maus“) und verschiedene qualifizierte Schriftschnitte darstellen kann? Das ist ein Detail, das aus jedem Businessplan als irrelevant (hoher Aufwand, geringer wirtschaftlicher Nutzen) gestrichen worden wäre. Aber es ermöglichte die DTP-Revolution Ende der 1980er.

Apple-Geräte waren (und sind) überproportional stark im Internet vertreten. Überproportional viele Internetseiten und Drucksachen werden mit Mac-Computern gestaltet. Warum? Weil ein kreativer Mensch sich von einem Mac-Computer in seinen Ambitionen ernst genommen fühlt, nicht umsonst lautete das Apple-Credo „Real Artists Ship“. Für Steve Jobs war es selbstverständlich, dass die Mac-Entwickler auf der Innenseite des Gehäuses ihre Signaturen hinterlassen – so wie Künstler ihre Werke signieren. Es macht mehr Spaß, auf einem bis ins Detail designten (!) Gerät etwas Neues zu schaffen als auf einer 08/15-Kiste. Oft geht es mit Apple-Rechnern – jawoll! – auch einfacher und schneller. Das verdanken wir Steve Jobs: Dass nicht Manager oder Gremien über Produkte entscheiden, sondern eine Person Entscheidungen traf, die von den Produkten persönlich überzeugt war.

Wenn dann Steve Jobs die Keynote-Bühne betrat und neue Produkte vorstellte, war all der betriebene Aufwand nicht erkennbar. Jobs stand da und ließ uns an seinem Traum teilhaben: An der Begeisterung über eine erfolgreich umgesetzte Vision. Deshalb war er authentisch in seiner Präsentation, deshalb konnte kein anderes Unternehmen ihn darin übertreffen. Denn nirgendwo sonst gab es einen König, der seine Visionen direkt Wirklichkeit werden lassen konnte. Überall sonst sind Produkte das Ergebnis von Kompromissen, die über viele Managementebenen hinweg ausgehandelt werden. Nicht so in Steves Königreich. „His Steveness“ wollte in alle Bereiche und Entscheidungen eingebunden sein.

Wegen Steve Jobs war die Heimlichtuerei von Apple unentbehrlich. Nicht, um ihm den Show-Effekt zu sichern. Sondern um die Welt nicht mit nebensächlichen Gedankenspielen zu verwirren. Warum soll die Welt alle Entscheidungsoptionen und Prototypen des iPhones kennen? Wichtiger ist doch, dass das entstandene Produkt überzeugt. Steve Jobs stellte keine demokratischen Produkte her. Ihn interessierte nicht, was die Wirtschaftspresse oder selbsternannte Technikredakteure von den Produkten halten. Sein Urteil war sein Maßstab. Darin war er kompromisslos.

Niemand weiß, wie viele falsche Urteile er im Laufe seiner Karriere getroffen hat. Niemand weiß, wie viele tolle Produkte wir aufgrund seiner Entscheidungen nie erlebt haben. Aber das, was er uns hinterlassen hat, ist für ein Menschenleben enorm viel, beeindruckend und inspirierend.

Wenn er uns als Gesellschaft eine Lektion mitgegeben hat, dann diese: Individualisten, Visionäre und Anti-Pragmatisten verändern die Welt – Manager verwalten sie nur. Von ersteren kann es nicht genügend geben – von letzteren gibt es zu viele!

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

2 Kommentare

  1. Pingback: Steve Jobs ist tot | SL CREATIONS

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