Überlegungen zum Apple-Design

Der Tod des Apple-Chefs Steve Jobs bot vielen Journalisten die Möglichkeit, über das Design von Apple-Produkten zu sinnieren. Der zentrale Gedanke wurde in Form eines Zitats oder Fakts meist kurz erwähnt, aber nicht tatsächlich verstanden: Design ist mehr als das Aussehen.

Wenn eine Großmutter ihrer Enkelin ein Stück Schokolade gibt, sagen die Zyniker, die Großmutter möchte das Kind für sich einnehmen. Menschenfreunde dagegen sehen, dass das Kind sich freut, dass sich die Großmutter über die Freude des Kindes freut, dass beide einen schönen Moment miteinander haben. Großmütter sind selten so berechnend wie Zyniker.

Wenn wir uns mit der gleichen Arglosigkeit dem Design von Apple-Produkten nähern, nähern wir uns dem Kern ihrer Faszination eher, als wenn wir den Argumenten der Zyniker folgen. Ein konkretes Beispiel steht gerade vor mir: der aktuelle Mac mini. Ein Aluminium-Block, in dessen Inneren sich ein Computer befindet. Von außen sind keine Schrauben oder ähnliches zu erkennen. Harmonisch fügt sich das Apple-Logo in das Design, nicht in Form eines Aufklebers oder zusätzlichen Elements, sondern als Bestandteil der Oberfläche, wie die Maserung in einem Holzstück. Der Block wirkt ein bisschen so, als wäre sein ganzer Daseinszweck der, ein Computer auf meinem Schreibtisch zu sein.

Genauso haben iPod, iPhone, iPad, MacBook und die anderen Apple-Produkte kaum sichtbare Herstellungselemente. Allenfalls auf der Unterseite der MacBooks finden sich ein paar Schrauben. Im Gegensatz dazu verraten Standard-PCs bereits durch ihre sichtbaren Schrauben, dass hier mehrere Elemente zu einem neuen Gerät verbunden wurden: Da „wurde zusammengefügt, was nicht zusammengehörte“. In der Wahrnehmung ist der Mac mini ein fertiges Produkt, dessen Zweck es ist, von mir benutzt zu werden. Im konkreten Fall betrifft das Apple-Design scheinbar nur die Oberfläche des Produkts, die Implikationen des Design treffen aber die Produkte in ihrem Wesen. Ein Standard-PC ist in der Wahrnehmung ein Angebot, die Zusammenstellung zu verbessern.

Das wäre so, als wenn Beethoven in seiner neunten Sinfonie Leerstellen gelassen hätte, die jeder selbst ausfüllen müsste. In einigen Fällen ergebe das sicherlich spannende Werke, in den meisten Fällen käme das Ergebnis nicht an Beethovens selbstgeschaffenes Gesamtwerk heran. Wie ein Gemälde, eine klassische Komposition, ein Roman oder Gedicht sind Apple-Produkte in jedem Sinne fertig, wenn sie beim Kunden ankommen. Wie bei Gemälden, Kompositionen, Romanen oder Gedichten liegt das weitere Schicksal nun in unseren Händen und wie wir uns dazu verhalten. Ob wir in dem Gemälde versinken, es regelmäßig anschauen und neue Details und Gedanken darin entdecken – oder ob wir es einfach in eine Ecke hängen, damit diese nicht so karg wirkt, und es ansonsten nicht weiter beachten.

Der Vergleich mit Kunst ist nur scheinbar übertrieben. Steve Jobs sah Apple nicht als Technik-Unternehmen, sondern forderte bereits beim ersten Macintosh die Designer und Entwickler auf, in dem Gehäuse ihre Unterschrift zu hinterlassen. Für Steve Jobs ist es selbstverständlich, dass Künstler ihre Arbeit signieren. Für ihn steht das Unternehmen Apple mit seinen Produkten zwischen den Künsten und der Technik – wie Steve Jobs mehrfach in Interviews oder auf seinen legendären Keynotes betonte.

Zyniker sprechen an dieser Stelle von erfolgreichem Marketing. Ich schaue mir die Apple-Produkte an und stelle fest: Wenn es lediglich Marketing ist, dann passt es allerdings exakt zu dem Eindruck, den mir die Geräte selbst vermitteln. Ich kenne kein anderes Unternehmen, das gleiches über seine Produkte oder deren Design behaupten könnte, ohne eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu erzeugen.

Zyniker sagen, dass Apple-Käufer auf das Design hereinfallen. Ich stelle im Alltag fest, dass die Geräte das halten, was ihr Design verspricht. Ich habe keine Bastelgeräte, sondern funktionierende und durchdachte Produkte erworben. Und immer wieder grinse ich: „It just works“. Das Design-Versprechen wird auch auf der faktischen Ebene eingelöst, denn beispielsweise gehören Apple-Laptops zu den leistungsfähigsten – auch wenn man sie mit Windows betreibt.

Zyniker verweisen an dieser Stelle auf die künstliche Obsoleszenz. Die regelmäßigen Design-Veränderungen wären ein wesentlicher Grund für Käufer, sich neue Produkte zuzulegen, da man der eigentlich genügenden Vorversion ja ansehe, dass sie nicht mehr aktuell sei. Die Argumentation wird also dahin verschoben, dass Apple den Wunsch der Kunden bedient, ein aktuelles Produkt zu besitzen. Das ist allerdings keine Aussage über Apple oder über Apples Design, sondern eine über die Kunden, die nicht gezwungen sind, ein neues Produkt zu kaufen; denn als mündige Bürger wissen sie, dass das Vormodell faktisch ihren Anforderungen genügt. Apple gelingt es also, (auch mit dem Design) eine emotional aufgeladene Beziehung zwischen Produktbesitzern und Produkten herzustellen und die Kunden erfolgreich zu verführen.

Man kann auf die Auto-Industrie verweisen, die eine gleiche Produktstrategie verfolgt und regelmäßig ihre Modelle aktualisiert – unter der Haube und als Design nach außen sichtbar. Die Mode-Industrie ist noch schlimmer, denn dort finden die Änderungen ausschließlich an der Oberfläche statt. Aber solche Argumente verkennen, dass Apple nicht willkürlich das Design ändert, sondern nur, wenn ein guter Grund besteht oder das Nachfolgedesign dem vorigen in der Funktionalität mindestens ebenbürtig ist; meist wird auch eine neue Funktionalität oder Technologie ergänzt, die den Wert des Produkts gegenüber dem Vorgängerdesign erhöht.

Dabei hält Apple den Preis für ein Produkt über mehrere Generationen aufrecht, sodass Kunden stets ein besseres Gerät für den selben Preis erhalten. Das iPhone 4S sieht genauso aus wie sein Vorgänger. Das iPhone 3GS sah ebenfalls so aus wie sein Vorgänger. In beiden Fällen haben die Besitzer der Vormodelle keinen erkennbaren Grund, sofort auf das Folgemodell zu wechseln; es sei denn, sie möchten von den internen (nicht nach außen sichtbaren) Verbesserungen profitieren. Offenbar geht es Apple gar nicht nur um Verkaufszahlen, es wäre schließlich leicht gewesen, dem iPhone 4S ein erkennbar neues Design zu verpassen, sodass das iPhone 4 alt wirkt.

Die MacBook-Pro-Laptops haben sich seit der Einführung der Unibody-Herstellung in ihrem Design kaum geändert. Ich wäre nicht in der Lage, auf Anhieb eines der ersten Modelle (Ende 2008) vom aktuellsten (drei Jahre und mehrere „Speedbumps“ später!) zu unterscheiden. Und das aktuelle ist um ein Vielfaches schneller, hätte also durchaus ein neues Design verdient gehabt. Ebenso wurde die Umstellung von G5- auf Intel-Prozessoren in den iMacs nicht mit einem neuen Design begleitet, die Umstellung von G3- auf G4- und dann auf G5-Prozessoren aber schon.

Die immer wieder behauptete stärkere Abnutzung von Apples Produkten kann ich allerdings nicht bestätigen. Das Glas zerkratzt nicht schneller als die Bildschirme anderer Handys. Die Laptop-Gehäuse sind robust und auch nicht schneller unansehnlich als die anderer Fabrikate. Design, Qualität, Details, Marketing und Geräteangebot stehen in direktem Zusammenhang mit Jobs’ Biografie. In seiner Darstellung von Steve Jobs’ Leben stellt Daniel Eran Dilger fest: „Jobs pushed its engineering team to aspire to achieve greatness, rather than simply delivering a product that could sell. Jobs became notorious for micromanaging details that didn’t seem critically important to others, while remaining focused on a vision of a computing appliance anyone could use“.

Das Bestehen auf einem klaren Fokus für jedes Gerät ermöglichte erst das effektive Design. Wobei Design für Steve Jobs nicht die Gestaltung eines fast fertigen Produkts ist, sondern ein Prozess, der mit der ersten Idee für ein Gerät beginnt. Daher begleitet das Apple-Design sämtliche Entwicklungsschritte und hat ebenso Einfluss auf die entstehenden Produkte wie die Physik auf die Technik.

Zu dem Verständnis von Apples Design-Strategie gehört auch die oft kritisierte Geheimhaltung. Was im Kulturbetrieb selbstverständlich ist – Musiker veröffentlichen ihre Alben erst, wenn sie fertig sind; Autoren präsentieren ihre Werke erst, wenn sie fertig sind; Maler zeigen ihre Gemälde erst, wenn sie fertig sind –, tut auch Apple mit seinen Produkten: Es zeigt sie erst, wenn sie fertig sind. So wie niemand auf die Idee käme, von einem Musiker, Autoren oder Maler zu fordern, sich nach dem Massengeschmack zu richten oder demokratische Zwischenstufen zu installieren, so nimmt sich Apple das Recht, intern alle Entscheidungen zu fällen. Natürlich haben im Kulturbetrieb Produzenten, Lektoren, Galleristen eine Art Mitspracherecht und Einfluss, aber nur in wenigen Fällen erfährt die Öffentlichkeit, welche Ideen im Zuge einer Werk-Entstehung erwogen, verfolgt, verworfen wurden.

Übrigens verrät Ikea auch nicht, welche Design-Ideen es für die nächste Saison verfolgt – wir müssen auf den Katalog warten. Apples Geheimhaltung ist für einige sicherlich ärgerlich, aber sie gehört zur Spannung ebenso dazu wie das Warten auf einen Harry-Potter-Band, auf einen neuen Woody-Allen-Film, auf eine Karl-Lagerfeld-Kollektion, auf ein Tori-Amos-Album.

Design ist im Hause Apple nicht nur Selbstzweck oder Marketinginstrument, sondern elementarer Bestandteil jedes Produkts. Das Design eines Produkts gibt ein Versprechen. Ein Versprechen, das stärker wirkt als jedes Marketing. Wenn das Versprechen dann nicht erfüllt wird, ist die Enttäuschung hoch, und die Begeisterung sinkt schneller als die Erwartung steigen konnte. Enttäuschte Kunden greifen beim nächsten Mal zu einem Produkt anderer Hersteller. Da Apple-Kunden aber zu den markentreuen gehören, scheint bei den wenigsten eine massive Enttäuschung eingetreten zu sein. Das sagt viel über erfüllte Erwartungen, passendes Design und Apples wahre Stärke aus: Die Kunden in jeder Hinsicht ernst zu nehmen.

Kunden mögen schöne Geräte. Kunden mögen nicht mehr denken als unbedingt nötig. Kunden mögen nicht enttäuscht werden. Kunden mögen das Gefühl, für ihr Geld tatsächlich das Richtige gekauft zu haben. Kunden mögen es, wenn ein Produkt besser ist als erwartet. Apple-Produkte fühlen sich in der Praxis immer besser an als sie im Katalog aussehen. Das unterscheidet sie von allen Konkurrenzprodukten.

Alexander Florin: Alexander Florinein Kind der 70er • studierter Anglist/Amerikanist und Mediävist (M.A.) • wohnhaft in Berlin • Betreiber dieses Blogs zanjero.de • mehr über Alexanders Schaffen: www.axin.de ||  bei Facebook || auf Twitter folgen

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